Die Analyse des Klanges

In der Dokumentarischen Methode der Videoanalyse wird neben der Bildinterpretation auch die textliche Ebene untersucht. Wenn man eine Diskussion oder ein Gespräch auf dem Video hat, dann ist klar, dass hier der Text transkribiert wird und dann der Sinn bearbeitet wird. Die Dokumentarische Methode will auch wissen, wie hier soziale Realitäten ausgedrückt werden, welche Vorstellung von bestimmten Themen, wie zum Ausdruck kommen.

Doch dies passt alles nicht auf den Gesang. Der Inhalt und die Bedeutung des Textes ist schon im Lied vorgegeben, kann also unabhängig vom Singen bearbeitet werden. Was der Einzelne davon versteht, könnte ich nur in Interviews nachfragen. Die Sozialwissenschaft hat in der Videoanalyse zwar eine Erweiterung durch die Bilder und deren Analyse erfahren, aber sie arbeitet trotzdem noch über die sehende Wahrnehmung. Für den Klang ist aber die hörende Wahrnehmung das Zentrale.

Die Methodik für die Interpretation von Text und Ton ist zu entwickeln.

Ethnologische Forschung von Regula Qureshi: Beobachtete Qawwalli, eine textlich orientierte Musik von Sufis, die damit eine Verbindung zu Gott suchen. Ihre Methode ist ein Videograf, der die Musik und die körperliche Bewegung in einer Partitur auflistet. Nur äußere Reaktionen werden beachtet, aber der Klang kommt kaum vor.

Steven Feld forschte bei Kaluli in Neuguinea und erkannte dort, dass Klang und Sozialstruktur miteinander korrespondieren. Es gab in beiden keine Hierarchie, sondern die musikalischen und die sozialen Stimmen waren alle gleichberechtigt.

Es gibt also Augenblicke im Leben, da greifen die Rituale der Qawwali und die Mythen der Kaluli (ein wichtiger Mythos ist die Überzeugung, dass man nach dem Tod selbst ein Vogel wird). Dies funktioniert in unserer Gesellschaft nicht mehr. Obwohl die untersuchten Lieder vorgegeben sind und damit ein bisschen an festgeschriebene Rituale erinnern, die unabhängig sind vom Einzelnen. Es fehlt der verpflichtende Charakter und die Auswirkung auf das alltägliche Leben. Um es mit Victor Turner zu sagen: waren die Rituale früher liminal, sind die gesungenen Lieder nur noch liminoid.

Mit Udo Tworuschka nehme ich den auditive turn auf, Frau Grüter erwähnte dies schon in der letzten Sitzung. Tworuschka hatte in Jena eine religionswissenschaftliche Professur und will in der praktischen Religionswissenschaft das Hören in die Forschung einbeziehen.

 

Ich versuche einige Andeutungen, für die Klanganalyse:

 

- Einzelelemente, die benannt werden:

Parameter

Video II

»EG 121«

Klang allgemein

typischer Choralklang, nur beim Bandzwischenspiel anders

 

Laut

Orgel und Gemeinde laut

Leise

zartes Orgelvorspiel

Weich

 

Hart

 

Klangbetont

Gemeindegesang

Rhythmus-betont

Bandzwischenspiel

Rhythmus

Band spielt binären Rhythmus, während das Lied im Dreier steht.

Verände­rungen im Verlauf

Orgel und Gemeinde nicht zusammen,

Sound

kräftiger aber gewohnter Kirchengesang, Band bringt neue Farbe, allerdings durch Hauptsolo des Saxofon auch schon wieder gewohnt.

Textbeo-bachtungen

Halleluja, wiederholt sich in jeder Strophe

Bild-Ton

Klang sehr kräftig und klangvoll, Bild eher unbewegt, meditativ, jeder ist bei sich selbst.

Auch das wiederholte Halleluja wird nicht auswendig gesungen.

körperliche Reaktionen

allgemein

Gemeinde sitzt eher unbewegt in den Bankreihen, aber als die Band spielt, wippen viele im Rhythmus

Person a

junger Mann im blaugestreiften T-Shirt: schaut lächelnd beim Halleluja aus den Noten (str. 1 und 2), beobachtet die Band lächelnd.

Person b

älterer Mann im weißen Hemd: sitzt ruhig da und singt mit, beim zweiten Halleluja, ein wenig den Kopf gehoben. Beim Bandzwischenspiel wippt er im Ryhthmus.

Person c

Saxofonspieler: bewegt sich recht eckig im Rhythmus, vollzieht einige Melodiebewegungen körperlich mit, z.B. hoch auf die Zehenspitzen.

Person d

 

 

- Soundgeschichten, die den Klang emotional und in Form einer dichten Beschreibung aufnehmen. Sie sind erst einmal subjektiv-deskriptiv und intersubjektiv nicht überprüfbar.

Die Orgel setzt leicht und recht leise ein. Eine beschwingte Melodie mit einer hellen Registrierung, sie klingt fröhlich. Doch so richtig erreicht sie mich nicht. Ich lausche auf sie und sie gefällt mir, aber sie berührt mich nicht. Die tiefen Stimmen sind kaum wahrzunehmen. Erst nach einer Weile höre ich die Choralmelodie, die unter der leichten Melodie verborgen ist. Die helle Melodie huscht über die Töne und läuft dann nach oben aus. Eine kurze Pause und dann setzt die Orgel in voller Lautstärke und Kraft ein. Die Gemeinde singt nicht gleich bei den ersten Tönen mit, doch dann höre ich den vielstimmigen Gesang. Die Orgel dominiert den Klang und ist immer wieder recht abgehackt, während die Gemeinde, bei der zweiten und dritten Strophe hinter der Orgel hängt. In der zweiten Strophen begleitet die Orgel mit einem Tenor-c.f. Die Trompete klingt festlich. In der dritten Strophe ist die Trompete im Sopran und der wirkt strahlend. Dann bricht der Gesang und der Orgelklang ab. Man hört leise Schläge von Holz auf Holz und dann beginnt eine Band zu spielen. Der Sound ist sofort ganz anders und auch der Rhythmus ist viel deutlicher zu spüren. Ein Piano und eine Gitarre sind zu hören, dann setzt ein Saxofon ein und spielt erst eine Melodie parallel mit dem Piano, dann erkenne ich die Melodie des Chorals, mal in tiefer, mal in hoher Lage. Sie ist rhythmisch peppiger. Fast unwillkürlich wippt mein Fuß mit. Dann kommt ein Gitarrensolo und ein Solo des Pianos. Der Dreiertakt des Chorals ist in einen binären Rhythmus verändert. Die Band macht einige Schlussakkorde, die aber nicht harmonisch, sondern rhythmisch einen Schluss markieren, dann folgt, wie eine kleine Reprise noch einmal die Melodie im Saxofon. Die einstimmige Melodie zwischen Piano und Saxofon führt zur Coda. Fast atemlos endet das Bandzwischenspiel. Die Orgel setzt wieder im Tutti ein. Sie klingt in meinen Ohren seltsam fade, obwohl sie so laut ist. Auch der Gemeindegesang hat nur wenig Schwung von der Band übernommen. Mit einem langen Schlusston, so als wollte man sagen, jetzt ist wirklich das Ende erreicht, klingt der Choral aus.

 

- typische Klänge der christlichen Rituale, z.B. Orgel, Posaunenchor, Gemeindegesang etc. Hier müssten die einzelnen Klänge genauer beschrieben werden, dann würde ein Feld an Klängen hörbar, dass als Kirchensound beschrieben werden könnte. Z.B. wird in Filmen bei einem Szenenwechsel durch Klänge und Musik der neue Raum angekündigt, bevor er im Bild erscheint. Für den Kirchenraum steht da häufig die Orgel oder der Gemeindegesang, denn diese beiden Klänge werden als typisch für die Kirche und den Gottesdienst angesehen.