2. Atmosphäre Emotion – Erlebnis

 

Vorhin habe ich erwähnt, dass ich keinen Zugang zu dem Eigentlichen meiner Untersuchung, nämlich dem Erleben habe. Indem ich nun, noch sehr bruchstückhaft, drei Begriffe einführe, will ich mich dem Erleben etwas annähern.

 

Atmosphären werden selten bewusst wahrgenommen, aber sie prägen das Erleben. Eine einprägsame Definition stammt von Gernot Böhme: Der erste Gegenstand der Wahrnehmung ist die Atmosphäre.[1] Bedingung dafür ist, dass die gemeinsame Wirklichkeit des Wahrnehmenden und des Wahrgenommenen in einer Sphäre der Anwesenheit aufleuchten. Die Atmosphäre zu spüren heißt, in bestimmter Weise leiblich anwesend zu sein.[2] Dieses leiblich Anwesend-sein heißt mit anderen Worten, dass man eine Atmosphäre nicht nur sinnlich wahrnimmt, sondern in affektiver Betroffenheit spürt.

Aus phänomenologischer Sicht verortet Gernot Böhme Atmosphäre in der »Beziehung von Umgebungsqualitäten und menschlichem Befinden. […] Dieses Und, dieses zwischen beidem, dasjenige, wodurch Umgebungsqualitäten und Befinden aufeinander bezogen sind, das sind die Atmosphären.«[3] Somit sind Atmosphären weder völlig an das Objekt, noch völlig an das Subjekt gebunden. Gemeint ist die Sphäre der Anwesenheit als gemeinsame, aktuelle Wirklichkeit des Wahrnehmenden und des Wahrgenommenen.

 

Ich wende mich mit Dieter Ulich einer Definition für Emotion zu:

»Ein Gefühlszustand liegt vor, wenn eine Person innerhalb der für sie charakteristischen wertbezogenen 'Selbst-Welt-Relationen' ein Ereignis i.S. eines 'das Selbst involvierenden Zustands der Welt' in der Weise wahrnimmt und auf ihre 'persönliche Bedeutungssysteme' bezieht, dass sich daraus eine bestimmte qualitative Steigerung der Ich-Beteiligung ergibt, die sich auch auf physiologischer, expressiver und verbale Ebene manifestieren kann.«[4]

 

Ein Erlebnis, so kann man mit Gerhardt Schulzes Erlebnisgesellschaft sagen, geschieht im Hier und Jetzt. Es spricht den ganzen Menschen mit Körper und Geist an. Aber es ist auch mit einer konkreten Situation verbunden. Ein Erlebnis kann man nur in dieser Doppelung – Ansprache des Menschen und Verbindung zur konkreten Situation – beschreiben. Ein Erlebnis wird auch vom Subjekt bestimmt und hat trotzdem unwillkürliche Momente. In nachträglicher Reflexion wird dem Erlebten Sinn verliehen. Die Bezeichnung nachträglich macht darauf aufmerksam, dass zwischen dem Ursprungserlebnis und jeder Erinnerung ein Spannungsverhältnis besteht. Alles Spätere ist durch einen unüberbrückbaren Graben vom eigentlichen Erlebnis getrennt, auch wenn alles Erinnern Spuren des Ursprünglichen trägt.

 

Gemeinsamkeiten der drei Begriffe: Sie betreffen immer ein Individuum. Für alle drei Begriffe gibt es zwei Voraussetzungen: einmal eine äußere Situation, doch die ist allein nicht hinreichend, sondern sie muss zweitens, auf ein Subjekt wirken.

          Doch sind die drei Begriffe nicht einfach als Synonyme zu erkennen. Was unterscheidet sie also?

Unterschiede: die Atmosphäre schwebt zwischen den Ektasen der Dinge, die darin in einmaliger Weise aufleuchten und dem Subjekt, dass in einer Stimmung durch die äußeren Dinge getroffen wird. Diese Stimmung des Subjektes, die sich aus der aktuellen Lebenssituation und der Wirkung der Atmosphäre bildet, ruft Emotionen hervor. Den zeitlichen Prozess, dass Dinge in eine Sphäre der Anwesenheit dem Subjekt aufleuchten und dadurch Emotionen im gleichen Raum entstehen, nenne ich Erlebnis. Die Atmosphäre hat ihren Schwerpunkt im Raum, die Emotion ist stärker im Subjekt verortet. Das Erlebnis ist dann der aktuelle Prozess, der Situation und Subjekt verbindet und zeitlich hin und her springt. Alle drei können unbewusst bleiben.

          Der Vorteil dieses Dreiklanges für meine Untersuchung liegt darin, dass ich mehrere Zugänge habe und aus verschiedenen Richtungen auf das Forschungsfeld schaue.

 



[1] Vgl. Gernot Böhme, Aisthetik, Vorlesungen über Ästhetik als allgemeine Wahrnehmungslehre, München 2001, 45.

[2] Vgl. Gernot Böhme, Atmosphäre, Essays zur neuen Ästhetik, Frankfurt a.M. 1995, 34.

[3] A.a.O., 22f.

[4] Vgl. Dieter Ulich, Philipp Mayring, Psychologie der Emotionen, Stuttgart 20032, 60.