Emotionen

Ein Beispiel vor aller Theorie.

 

Eine Frau erzählte mir nach dem Offenen Singen ihr Erleben beim Singen. Sie ist in Eile und will schnell erzählen, weil Sie gleich noch in eine andere Veranstaltung will. Der Anfang ist ganz spontan und beschreibt das, was sie gerade erlebt hat. Danach wird sie allgemeiner und erzählt aus ihrem Leben und wie das Singen dort angewendet wird bzw. wo sie Probleme für das zukünftige Singen sieht.

 

Der erste Satz lautete: »also a) bin ich ganz fröhlich geworden.«

Dieser kurze Satz scheint etwas allgemeines des Singens zu benennen, aber hier kann ich anhand der Videoaufnahmen sehen, dass dieser Wandel tatsächlich vonstatten ging. Die Erzählende ist auf dem Video zu sehen und so kann man erkennen, dass sich mit jedem Lied die Stimmung ändert.

1. Das Lied »Der Lärm verebbt« hat hier gerade die Textzeile »Gib Nacht und Ruhe, wo man heute litt.« Da hört die Frau auf zu singen und wischt sich die Augen.

2. Bei dem Taizégesang »Nada te turbe« sollten alle aufstehen, die es kennen und nach und es wurde solange wiederholt, bis alle standen. Die Frau ist nur während des ersten Durchsingens zu sehen. Gegen Ende richtet sie den Blick nach oben, so als lausche sie auf den Klang und was man sonst noch hören kann. Das Gesicht wird deutlich offener.

3. Beim dritten Lied »Wenn Glaube bei uns einzieht« singt sie schon gelöster mit. Offenbar kennt sie das Lied aber nicht, denn im Gegensatz zu den anderen Liedern, die sie entweder kennt oder schnell lernt, schaut sie hier sehr viel in das Heft. Das Lied hat drei Strophen, in denen sich immer nur ein Wort ändert, Glaube, Liebe, Hoffnung, wenn die einzieht, öffnet sich der Horizont. Dies sehe ich in ihrem Blick noch nicht so deutlich.

4. Das vierte Lied ist der bekannte Gospel »We are marching in the light of God«. Hier leuchtet ihr Gesicht und sie lächelt. Während des ganzen Liedes wirkt sie sehr fröhlich. Das fällt gerade im Gegensatz zu den anderen auf. Das Lied ist zwar bekannt, aber es wird ganz unterschiedlich gesungen. Nun weist der Singleiter auf den Notentext hin und man sieht, wie viele sehr konzentriert auf die Noten schauen, um endlich richtig zu singen. Doch die Frau singt trotzdem frei und fröhlich mit einem lächelnden Gesicht.

5. »Du, meine Seele, singe« ist das fünfte Lied. Bei diesem bekannten Paul-Gerhardt-Lied, das vierstimmig gesungen wird, fällt der kräftige Kirchensound auf. Es ist aber sängerisch eine Herausforderung. Auf dem Video fällt ein Herr in der ersten Reihe auf, der einen weißen Vollbart hat und der hier sehr engagiert singt. Klanglich wirkt seine Stimme auf der Aufnahme sogar etwas dominant. Seine Nachbarin guckt einmal zu ihm rüber und er selbst holt sich aus seinem Körper Kraft für das Lied. Als es zu Ende ist sagt er, was man halb hören, halb von den Lippen ablesen kann: »Hooch, das war anstrengend zu singen.«

Die Frau singt sehr befreit mit, auch wenn sie nicht so viel lächelt, wie im vierten Lied. Ich denke, das hat mit dem schwierigen Lied großer Tonumfang, dadurch auch sehr tief und sehr hoch, lange Strophe zu tun.

6. Auch im sechsten Lied, dem Kanon »Ich bin bei euch«, der als Schlusslied gesungen wurde, ist sie nicht mehr ganz so fröhlich, wie im vierten Lied. Doch sie lächelt und singt recht frei mit. Dieser Kanon klingt insgesamt recht hart und kämpferisch, weil jede/r seine Stimme durchhalten will.

 

Insgesamt ist aber bildlich die Aussage: ich bin ganz fröhlich geworden, gut nachzuvollziehen.